+ Kreuzgang der Verführung +
Elisa B. Matern – Kreuzgang der Verführung
(Text und Vortrag: Anne Simone Krüger, Kunsthistorikerin)
Googelt man den Begriff „Verführung“ lässt sich Folgendes feststellen – Verführung ist Frauensache. Die ersten Suchergebnisse lauten durch die Bank weg: einen Mann verführen, den Mann verführen, wie sie richtig verführen, Männer verführen – aber wie?
Elisa B. erzählt in ihrer Arbeit „Kreuzgang der Verführung“ eine beispielhafte Geschichte der Verführung. Explizit bezieht sie sich auf den Garten Eden, den wohl berühmtesten Ort der Verführung. Daraus ergibt sich das Oberthema der heutigen Veranstaltung, die den Auftakt einer Trilogie bildet. (Einführungsveranstaltung der feinen Menschen, die Pinneberg zum Kunstkutort erklärten). Die Arbeiten von Elisa B. setzen sich mit dem biblischen und moralischen Verständnis von Verführung auseinander.
Die Schlangengöttinnen, wie der Werkzyklus heißt, die sich auf den Collagen räkelnden Frauen sind die personifizierte Versuchung. Bereits ihre Bezeichnung Göttinnen lässt dabei anklingen, dass sie Macht haben. Mit dem Mittel der Verführung üben sie Macht über den Mann aus. Der Soziologe Max Weber bezeichnet Verführung als Form der Machtausübung und Herrschaft. Verführung kann die gewaltlose Manipulation einer anderen Person sein. Im Laufe der Zeit hat jedoch gerade diese Form der Machtausübung einen absoluten Wechsel der Beurteilung erfahren – die in der Bibel noch verdammte Verführungskraft der Eva wird heute als durchaus positiv gesehen. Verführung wird in Szene gesetzt – wir werden überflutet von Bildern lasziver Sängerinnen, die Werbung bedient sich der Verführerin um ihre Produkte zu vermarkten etc.
Doch zurück zum Garten Eden. Hier ist die Verführerin in erster Instanz tatsächlich gar nicht die Frau, sondern die Schlange, die für Begierde im weitesten Sinn und auch im metaphorischen Sinn steht. Die Kombination Schlange, Frau und im besten Fall noch Apfel oder Mann gehört in der weitgehend säkularisierten Gesellschaft der Gegenwart zu den biblischen Ereignissen, die sich ihre Wirkkraft bis heute bewahrt haben und unmittelbar erkannt werden. Der Sündenfall ist vor allem im Mittelalter ein höchst präsentes Thema. Mit ihrem Werkzyklus stellt sich Elisa B. damit in eine lange Tradition der bildlichen Darstellung der Verführung im Garten Eden. Sie und Ihr werdet sicherlich alle schon einmal Abbildungen des bekannten Kupferstich Albrecht Dürers von ca. 1500 gesehen haben oder des Deckenfreskos von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle. Die christlichen Denker des Mittelalters jedenfalls führten Sterblichkeit, Herrschaft, Gewalt, sexuelle Lust, die Minderwertigkeit der Frau, körperliche Arbeit und Schmerz auf dieses Ereignis zurück. Das Thema „Sündenfall“ scheint daher wie kein zweites geeignet, um die wechselvolle Geschichte von Deutungen der „sozialen, seelischen und körperlichen Verfaßtheit des Menschen“ (Schreiner) offenzulegen.“
Die Verfaßtheit des Menschen, vor allem seine moralische Verfaßtheit steht im Fokus, wenn man sich mit dem Begriff des Kreuzgangs auseinandersetzt, der im Titel von Elisa B.‘ s Arbeit auftaucht. Die Künstlerin bietet uns im Pavillon verschiedene Einzelbilder einer Erzählung an, welche zum Reflektieren, vielleicht sogar zum Meditieren über das Thema Verführung mit all seinen Aspekten einlädt. In alten Klöstern bildet der Kreuzgang das Zentrum des klösterlichen Alltags. Dort trifft man sich für alltägliche Verrichtungen oder aber widmet sich dem Gespräch und dem Nachdenken über die Bibel und moralische Probleme. Viel spannender jedoch ist die Tatsache, dass besonders die Kreuzgänge romanischer Klöster mit ähnlichen Bilderzählungen versehen waren, wie wir sie hier sehen. An den Kapitellen, also den oberen Enden der Säulen befinden sich kunstvoll ausgearbeitete Reliefs – bekanntestes Beispiel hierfür ist der Kreuzgang von Moissac, welchem sich zahlreiche wissenschaftliche Abhandlungen widmen. Die Mönche waren dazu angehalten die Bilder zu betrachten und sie zu reflektieren, über die Welt und moralische Angelegenheiten wie Lust, Verführung und Sünde nachzudenken. Dabei konnten sie, da die Kapitelle rechteckig sind, jeweils nur eine Seite voll sehen, mussten sich also den Fortgang der Geschichte zunächst assoziativ weiterdenken und konnten dann beim Weitergehen überprüfen, ob sie mit ihrer Idee richtig lagen.
So sehen wir auch hier im Pavillon nur schwer alle Bilder auf einmal und können uns zunächst ein ganz persönliches Ende der Geschichte überlegen. Lust oder Askese? Kann Verführung zu einem Happy End führen? Ist dieses Happy End wirklich für alle Beteiligten so positiv? Triumphiert letzlich die Frau oder die Schlange? Oder sind Frau und Schlange am Ende gar eins? Allein der Titel spielt darauf an – die Collagen tragen den Werktitel „Schlangengöttinnen“. Diese Schlangengöttinnen schreiten selbstbewusst durch die Welt, sie vermischen Mythologie und christliches Gedankengut und emanzipieren sich in Bezug auf ihr Schicksal. In der Bibel verführt die Schlange Eva und Eva verführt Adam Doch bereits das Mittelalter denkt einen Schritt weiter. In unzähligen Abbildungen trägt die Schlange einen weiblichen Kopf, der dem der Eva wie ein Zwilling dem anderen ähnelt.
Auch hier ist die Angelegenheit kein Denken in schwarz und weiß, die Sache ist durchaus komplexer. Eva ist Verführerin und Verführte zugleich.
Bevor wir jedoch in der mittelalterlichen Psychologie versinken kehren wir zu Elisa B.‘ s Arbeit zurück. Die Frau nimmt hier ihr Schicksal in die Hand. Sie entwächst den Kinderschuhen und der Unmündigkeit des Paradiesgartens wie das Bild aus dem Zyklus mit dem Titel „Erkenntnis“ bestätigt. Was der Mann derweil tut bleibt vorerst offen und der eigenen Interpretation überlassen.
Die Frau auf jeden Fall räkelt sich auf den Arbeiten in allen erdenklichen Posen. Dies ist insofern spannend, als die Verbildlichung der Interaktion in Form von Aktion und Reaktion, die Art und Weise der Darstellung der Verführung durchaus implizierte Bewertungen von Nacktheim, Scham, Sexualität und Erotik enthalten kann. So können wir als Betrachter hier unsere eigene Einstellung zu diesem Thema überprüfen und reflektieren.
Zuletzt haben Sie und habt ihr die Möglichkeit das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Das „Schicksalsrad der Lust“ kann und darf gedreht werden. Der Ausgang ist allerdings nicht vorhersehbar und das Ende offen. Erfolg ist nicht garantiert, Lust hingegen – so bleibt zu hoffen – ist es. Bei Elisa B. jedenfalls nimmt die Geschichte scheinbar einen guten Ausgang. Statt der Vertreibung aus dem Paradies hat die Suche nach einem Objekt der Begierde und die Verführung Erfolg – nach allen Irrungen und Wirrungen folgt die Hochzeit, die im besten Fall sowohl für den Mann, als auch für die Frau das ersehnte Ende der Reise ist.
Damit komme ich zum Ende und wünsche euch und Ihnen einen paradiesischen und lustvollen Abend.